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Kuhporträt
Bauer malt Kuh

„Fanny” oder:
Die Renaissance des Kuhbildes als Porträt

Gemälde mit Kühen waren vorübergehend in Verruf geraten. Über dem Sofa von Oma und Opa hingen sie noch vielfach, den folgenden Generationen galten sie dann unweigerlich als Inbegriff des Kitsch. Während der röhrende Hirsch die patriarchalische Seite der Spießeridylle repräsentierte, musste die Kuh für die Verkörperung ihrer mütterlichen herhalten. Im heimeligen Wohnzimmer war diesen Tieren das entsprechende Freiluftambiente Wald bzw. Weide geschlechterspezifisch zugewiesen. Ehemals standen der jagdbare Hirsch und die domestizierte Kuh für ein klar definiertes Rollenbild: hier der kraftstrotzende, kampfbereite Mann, da das brutpflegende, friedliche Weib.

An dieser gründerzeitlichen Ordnung hatte erst die klassische Moderne gerüttelt. Auf dem wahrscheinlich berühmtesten Kuhbild zeigt Franz Marc ein übermütig auskeilendes Exemplar. Die Gelbe Kuh sprang, nein: flog im Jahr 1912 frech über die ästhetischen und gesellschaftlichen Reglements des Wilhelminischen Kaiserreichs hinweg. Zuvor hatten fortschrittliche Künstler die Vorgaben dafür geliefert, dass sich eine Rindviehmalerei in der trauten Bürgerstube etablieren konnte. Nachdem bereits die alten Holländer ganz selbstverständlich Kühe in ihre Landschaften integrierten, waren es Impressionisten wie Édouard Manet oder Camille Pissarro, die das Sujet fest in der Bildproduktion des industriellen Zeitalters verankerten.

Walter Bauer hat das im Verlauf des 20. Jahrhunderts in die Niederungen des Trivialen abgerutschte Genre verblüffenderweise zu neuem Leben erweckt. Es war im Jahr 2000 (mitten in der BSE-Krise), als er auf einer Alm über dem Alpbachtal auf den Gedanken kam, seine erste Kuh zu malen. Seitdem bringt er unermüdlich alle möglichen Tiere mit flottem Pinsel und leuchtender Farbe auf die Leinwand. Es beglückt ihn immer wieder aufs Neue, in seinen Ölgemälden die faszinierende Vielfalt und Lebendigkeit seiner tierischen Zeitgenossen festzuhalten.

Dass sich gerade seine Kuhbilder inzwischen großer Beliebtheit erfreuen, liegt sicherlich daran, wie frisch und unmittelbar dieser Neopop-Expressionist seinen muhenden Protagonisten auf den Leib rückt. Mit der gleichen flotten malerischen Geste und Unvoreingenommenheit, mit der er den so genannten einfachen Leuten begegnet, erfasst er die Tiere seines nächsten Umfeldes. Fungierten Kühe in der Kunst früher vor allem als anonyme Staffageelemente und zur Illustration einer Kulturlandschaft vor der Stadt, zoomt Bauer diese großen Tiere ähnlich den anderen von ihm wirkungsvoll in Szene gesetzten Motiven gewissermaßen mit dem Blick des Makro-Objektivs heran.

Die Nahsicht Bauers auf seine Umwelt ist bezeichnend. Sie ist eine wesentliche Strategie zur Vermittlung von Intimität, ja "Persönlichkeit". Die kubische Architektur des Kuhschädels – mit oder ohne Hörner – beherrscht der PowerPainter ohnehin aus dem Effeff und so gibt er sich nicht damit zufrieden, nur das Arttypische einzufangen. Gleich, ob bei den Bewohnern von Entmersberg oder bei den Fürther Müllmännern, stets zielt Bauers charakteristisches Closeup auf ikonische wie emotionale Überhöhung eines jeden einzelnen seiner Serienhelden. Der Maler scheut sich nicht, mit den Bildnissen ganz bestimmter Kühe intensive Gefühle beim Betrachter auszulösen. Er schafft Porträts, die das Tier als dem Menschen ebenbürtiges Individuum erscheinen lassen.

Kuh Fanny im Wohnzimmer

Natürlich sind es gerade die sprichwörtlichen, rollenden Kuhaugen, von denen eine starke Faszination ausgeht. Dass die unmittelbare Nahsicht erst den Augenkontakt ermöglicht, als Voraussetzung für die Wahrnehmung individueller Existenz, versteht sich. Das "Aug-in-Aug-sein" durchbricht die überkommene Hierarchie der Lebewesen auf unserem Planeten. Der Blickkontakt mit dem animalischen Gegenüber macht dieses in der menschlichen Vorstellung zum Kommunikationspartner auf Augenhöhe. Im sorgsamen Umgang mit unserem Einfühlungsvermögen dürfte ein Erfolgsgeheimnis der Bauerschen Kuhbilder liegen.

Wie viele Kuhporträts hat der seriell arbeitende Maler schon geschaffen, nachdem er sich ausführlich röhrenden Hirschen, Ziegen, Karpfen und – nicht zu vergessen – seinen Lieblingstieren, den Kamelen, widmete? Alles nur spaßige, bunte Konterfeis? Sicher nicht, denn wie der Witz ist die Kunst dazu da, eine kritische Distanz zur gnadenlosen Lebenswirklichkeit zu schaffen. Wie der Witz animiert die Kunst zum Nachdenken und Überprüfen eigener Standpunkte. Eine Kuh, die aus Maul und Nüstern sabbert, mögen wir im Ölgemälde lustig und originell finden. Sie taugt aber recht wenig als saftiges Steak und im Angesicht ihres wiedergekäuten Schleims mag uns auch ihre Milch nicht mehr so recht munden.

Kuh aus Entmersberg

Erst als Brustbild, freigestellt vor homogenem Hintergrund, kommt der Kuh ein adäquater Rang zu wie dem im Porträt festgehaltenen Menschen. Solche Kühe müssen weder lila noch werbewirksam glücklich sein. Zumindest auf der sublimen Ebene der Kunst gelingt die Befreiung dieser als manipulierbare Ware missbrauchten Kreaturen aus ihrem kommerzialisierten Schattendasein. Dass Walter Bauer seine Kuhporträtvariationen wie einstmals ein Andy Warhol seine Prominentenporträts gern zu farbenprächtigen Blöcken an der Wand arrangiert, darf in diesem Zusammenhang als ironische Spitze der ganz besonderen Art verstanden werden.
Dr. Harald Tesan